Obermedizinalrat Dr. med. univ. Ferdinand SILBERBAUER

 Radiosensitizing mit schweren Atomen – ein Ansatz für eine neue, effizientere Strahlentherapie
 

Einleitung

In diesem Bericht wird erklärt, warum Schweratome, die in einem Tumor eingelagert sind, bei der Strahlentherapie eine erhöhte Herddosis bewirken: durch die Anreicherung eines Tumors mit Schweratomen (z.B. Jod, Gold oder Platin) wird hier während einer Hochvoltbestrahlung vermehrt die Bildung von Positronen und Elektronen angeregt. Dadurch bedingt entsteht durch die gegenseitige Vernichtung von Positron und Elektron die so genannte Vernichtungsstrahlung mit der Energie von 0,511 MeV. Diese Vernichtungsstrahlung löst nun im Tumor die auf kleinem Raum (Millimeterbereich) ablaufenden Compton-Photo-Komplexreaktionen aus, welche räumlich eng an die Schweratome gebunden sind, d.h. bei einem hochenergetischen Comptoneffekt mit einem Schweratom wird ein Elektronenschauer frei, und die resultierende niederenergetische Comptonstreustrahlung wird innerhalb einer mittleren Entfernung von 2 mm neben dem Schweratom durch ein Leichtatom (z.B. Sauerstoff, Kohlenstoff oder Stickstoff) mittels eines Photoeffektes absorbiert. Auch die mittelenergetische Comptonstreustrahlung (um 100 KeV) aus dem umgebenden Gewebe wird zusätzlich mit hoher Incidenz proportional der 4. Potenz der effektiven Ordnungszahl des Tumors im schweratombeladenen Tumorgewebe durch Photoeffekte absorbiert. Mittelschwere Atome wie Zink oder Eisen führen bei Anreicherung im Tumor zu einer vermehrten Photoabsorption der mittel- und niederenergetischen Comptonstreustrahlung aus dem Gewebe um den Tumor.

 

Schweratome im Tumor

Nunmehr wird bei der Hochvolttherapie die Wirkung von Schweratomen in einem Tumor zuerst theoretisch und dann an konkreten Beispielen erörtert.

Hochenergetische Comptoneffekte

Schon vor Jahrzehnten wurden in der Strahlenphysik (1, 2) die Grundlagen für diesen neuen Ansatz in der Strahlentherapie erforscht, welcher zum Ziel hat, möglichst viele schwere Atome selektiv in ein Malignom einzubringen. Schweratome haben die Fähigkeit, aus Hochvoltphotonen durch hochenergetische Comptoneffekte (1, 2) sehr viel mehr Energie zu entnehmen, als dies bei leichten Atomen möglich ist. Dabei werden aus einem Schweratom viele Elektronen auf einmal freigesetzt, wodurch sich ein beträchtlicher Energieanteil eines Hochvoltphotons verbraucht (1 , 2).

Sekundär- und Tertiärelektronen

Diese freigesetzten Elektronen setzen noch Sekundär- und Tertiär-Elektronen frei (2) und stören und verändern die biochemischen Bindungen in den Chromosomen, womit der Zelltod verursacht wird. Die verbleibenden Comptonstreustrahlen werden dann von Schweratomen hauptsächlich durch Photoeffekte (1 , 2) absorbiert, wobei ebenfalls Elektronen freigesetzt werden, welche zerstörend wirken.

Beziehung Enhancement im CT <-> erhöhte Herddosis bei der Hochvolttherapie

Werte Leser, ersparen Sie mir, an dieser Stelle Formeln für die zu erwartende Wirkung anzuführen! Ich fand 1989 (6) Näherungen, welche zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit für Elektronenpaarbildung (1, 2), Comptoneffekte und Photoeffekte bei Einlagerung von Schweratomen in einen Tumor steigt und das dabei im CT erzielte Enhancement zur Berechnung der zu erwartenden Herddosis verwendet werden kann (6).

Höheres Energieniveau der Einfallsstrahlung  - größerer Verstärkungseffekt durch Schweratome

Aber es ist schwierig, Energieniveaus von 1 MeV aufwärts bis 25 MeV stufenweise in die Formel einfließen zu lassen. Ebenso schwierig ist das Einbeziehen von Sekundär- und Tertiärelektronen in diese Formel. Auch die Ordnungszahl der verwendeten Schweratome spielt eine größere Rolle, als erwartet (3, 4).

In Zukunft sollten wir uns lieber von der Empirie führen lassen. In Wirklichkeit scheinen die Effekte viel stärker zu sein, als die von mir damals errechneten (3, 4, 5, 8).

Compton-Photo-Komplexreaktionen

Wenn bei hochenergetischen Comptoneffekten niederenergetische Comptonstreustrahlen frei werden und im Umkreis von zwei Millimetern wieder absorbiert werden, so kann man diesen Vorgang als Compton-Photo-Komplexreaktion bezeichnen (6).

Eisenpigment führte zur selektiven Zerstörung des Astrocytoms IV

Durch solche Compton-Photo-Komplexreaktionen wurde vor 8 Jahren ein junger Mann, der an einem Astrocytom IV im Hirnstamm erkrankt war, geheilt. Bei ihm war es durch Einblutungen zu einer starken Eisenpigmentansammlung im Tumor gekommen. Die von mir veranlasste Strahlentherapie mit Kobalt 60 führte bei einer verabreichten Herddosis von nur 50 Gy zur völligen Zerstörung des Tumors. Ähnliche Effekte könnte man jederzeit mit Hilfe von Jodkontrastmittel, wie man es beim CCT verwendet, beim Astrocytom, beim Meningeom und beim Neurinom im Hirnschädel erzielen, wenn man eine Stunde vor einer One- Shot- Therapie mit 20 Gy das Kontrastmittel i.v. verabreicht. Diese Tumoren zeigen nämlich beim CCT ein Enhancement von bis zu 20 Hounsfield- Einheiten, was durch die eingelagerten Jodatome verursacht wird.

Absolute Todeskandidaten schon morgen heilbar

Am Astrocytom IV leidende absolute Todeskandidaten könnten schon ab morgen geheilt werden, wenn man diesen höchst einfachen Schritt in die Zukunft wagen würde. Untermauert wird diese Behauptung durch Arbeiten aus Amerika (3, 4) mit einer großen Anzahl von Patienten, welche vom Radiosensitizing mit Bromdesoxyuridin (BDU) und Joddesoxyuridin (JDU) berichten. Jod im JDU ist wesentlich schwerer als Brom im BDU. Jod hat in seiner Hülle 53 Elektronen, Brom nur 35 (1). Jod kann daher mehr Elektronen abgeben, wenn ein Hochvoltphoton "einschlägt"(1).

Obwohl JDU und BDU sich biochemisch gleich verhalten, kommt es beim Astrocytom IV mit JDU als Radiosensitizer zu Zweijahresüberlebensquoten von 68%, beim BDU aber von nur 28%. Man bedenke aber, dass bei diesen Substanzen noch kein Enhancement im CT erkennbar ist. Deshalb braucht man für diese Effekte noch 60 Gy Herddosis.

Cisplatin als Radiosensitizer

Im HNO-Bereich bei fortgeschrittenen Carcinomen wurde in Amerika bei 68 Patienten Cisplatin als Radiosensitizer verwendet (5) und damit eine Zweijahresüberlebensrate von 53% und eine Fünfjahresüberlebensrate von 32 % erzielt. Platin hat 78 Elektronen in seiner Hülle und führt damit zu diesen erstaunlichen Ergebnissen.

sichtbares Enhancement - sichere Zerstörung des Tumors

Aber bei einem jodbedingten sichtbaren Enhancement von 20 Hounsfieldeinheiten wie beim CCT eines Astrocytoms IV wird man mit einer wesentlich geringeren Herddosis auskommen, wobei man aber eine völlige Zerstörung des Tumors erzielt.

 

Professor Pfab in Marburg an der Lahn erzielte bei einem cavernösen Riesenhämangiom (8) im Kopf- und Halsbereich mit einer Einfallsdosis von nur 18 Gy mit harten Photonen der Energie von 10 MeV ein völliges Verschwinden des Tumors. In Lissabon wurden cavernöse Leberhämangiome mit Herddosen von nur 20 bis 30 Gy mit Telekobalt gestoppt (9). Diese Effekte werden durch Eisen, welches als mittelschweres Atom der Ordnungszahl 26 sehr massiv in den Erythrocyten des strömenden Blutes der Hämangiome vorhanden ist, durch hochenergetische Comptoneffekte erzielt. Die Elektronen schädigen die Gefäßwände, bevor sie vom Eisen wieder eingefangen werden, was zum Verschwinden des Hämangioms oder zumindest zum Aussetzen des Wachstums führt.

Radiosensitizing mit Kupfer und Selen

Vor fünfeinhalb Jahren wurde bei einem Patienten wegen eines Plattenepithelkarzinoms an der Epiglottis die Epiglottis entfernt. Danach erhielt er eine Telekobalttherapie mit einer Herddosis von 60 Gy. Ich verordnete als Radiosensitizer während der Bestrahlung die Einnahme von Kupfer-Selen- Trinkampullen, jeden zweiten Tag eine Ampulle. Er nahm sie auch noch Monate nach der Strahlentherapie ein und ist bis jetzt frei von Rezidiven. Selen hat 34 Elektronen, Kupfer 29 Elektronen in der Atomhülle. Bei Darm- und Mammakarzinomen beobachtet man eine gute Aufnahme und Speicherung von verabreichtem Selen in den Krebszellen. Ich nehme an, da Plattenepithelkarzinome eine ähnliche Fähigkeit besitzen. Jedenfalls sollte man ein Radiosensitizing mit Kupfer-Selen versuchen, z.B. täglich eine Ampulle Kupfer-Selen, um mögliche Chancen zu nutzen.

Überdosis des Selens würde den Verstärkungseffekt vernichten

Wichtig ist eine relativ niedrige Dosierung von Selen, damit nicht der Charakter der selektiven Speicherung in den Tumorzellen durch eine erzwungene Speicherung in normalen Körperzellen verlorengeht, wenn man zu hoch dosiert.

 Bei der Bestrahlung von Plattenepithelkarzinomen im HNO-Bereich ergibt sich folgendes Problem: Wird die Einfallsdosis der Hochvoltbestrahlung größer als 30 Gy, so entsteht mit zunehmender Dosis eine schmerzhafte Mukositis (7) und allmählich auch eine Atrophie der Speicheldrüsen.

 Schlussfolgerung:

In Zukunft wird es nötig sein, einen so wirksamen Radiosensitizer zu verwenden, dass mit einer Herddosis von nur 30 Gy die sichere Zerstörung der Tumorzellen durch Hochvolttherapie erzielt wird. Diese Forderung möchte ich auf sämtliche Tumoren ausdehnen, welche mit der Strahlentherapie behandelt werden. Ich nehme an, dass es durch diesen Bericht bald zu Fortschritten in diese Richtung kommt.

 

 

 Literatur;

(1)   Gerthsen-Kneser-Vogel: Physik, Springer- Verlag

(2)   Theodor Laubenberger: Leitfaden der medizinischen Röntgentechnik, Diagnostik, Dosimetrie, Strahlenschutz, Strahlentherapie, Deutscher Ärzte-Verlag

(3)   C. Urtasun, D. Cosmatos, J. Del Rowe, T. J. Kinsella, S. Lester, T. Wasserman and D. S. Fulton: Jododeoxyuridine (IdUR) combined with radiation in the treatment of malignant glioma - a comparison of short versus long intravenous dose schedules (RTOG 86-12)

(4)  H. S. Greenberg, W. F. Chandler, W. D. Emsminger, H. Sandler, L. Junck, M. A Page, D. Crane, P. McKeever, R. Tankanow and J. Bromberg: Radiosensitisation with carotid intra-arterial bromodeoxyuridine + 5-fluoruracil biomodulation for malignant gliomas; Neurology, Sept. 1994,441715

(5)   Prakash B. Chougule, Steve Suk, Quyen D. Chu, Louis Leone, Peter T Nigri, Robert McRae, Mary Lekas, Anthony Barone, Dinesh Bhat and Josef Bellino: Cisplatin as a Radiation Sensitizer in the Treatment of Advanced Head end Neck Cancers; Cancer, Vol. 74, No.7, Oct.1, 1994

(6)    F. Silberbauer: Strahlentherapie mit erhöhter Wirksamkeit, Radiologe (1989) 29: 48-49

(7)   Doz. Dr. M. Grasl, Univ. Klinik f. HNO- Krankheiten, Wien: Schleimhaut-Irritationen bei Bestrahlung und Chemotherapie im HNO-Bereich

(8)   H. Proske, R. Pfab: Indikationsstellung zur Hochvoltbestrahlung kavernöser Riesenhämangiome, eine eindrucksvolle Kasuistik, Die Medizinische Welt 1993, 44:276-8

(9)   L. Gaspar, F. Mascarenhas, M. Sa da Costa, J. Schaller Dias, J. Gamma Alfonso, M. E. Silvestre: Radiation therapy in the unresectable cavernous hemangioma of the liver, Radiotherapy and Oncology 29 (1993) 45-50


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